Die Luft wurde immer spannter, als mehr Leute aus dem Palast kamen, ihre Rüstungen glänzten in der Sonne, und sie zogen ihre Waffen, um sich neben User zu stellen. Das waren keine normalen Soldaten. Diese Typen hatten eine ganz besondere Arroganz an sich, und ihre Gesichter waren von einer Grausamkeit gezeichnet, die nur von vielen ungestraften Morden kommen kann. Allein ihre Anwesenheit bestätigte, was Nate schon vermutet hatte.
Er atmete scharf aus. Sein Blick wanderte über die Männer, deren Zahl größer war, als er erwartet hatte, aber das spielte keine Rolle. Zahlen bedeuteten nichts angesichts einer überwältigenden Macht.
„Ich wusste es“, murmelte Nate, und seine Stimme hallte über den Hof. Seine scharfen, goldenen Augen fixierten User, der wie angewurzelt stehen blieb, immer noch unter Schock von dem, was gerade passiert war. „Du hättest niemals eine ganze Siedlung alleine auslöschen können.“ Sein Tonfall wurde düster, seine Finger zuckten an seinen Seiten. „Das ist also deine kleine Armee?“
Sera, die neben ihm stand, ballte die Fäuste, als sie die Männer sah, die ihr Zuhause zerstört hatten. Sie konnte noch immer die blutverschmierten Hände sehen, die sie nicht einmal gewaschen hatten, obwohl schon Tage vergangen waren. Sie ließen sie wie eine Art Trophäe zurück, zusammen mit den bösartigen Grinsen und den seelenlosen Augen, die weder den Jungen noch den Alten noch den Hilflosen Gnade gewährt hatten.
Ihre Brust zog sich zusammen, als Wut durch ihre Adern schoss, ihr Atem kam in kurzen, unregelmäßigen Stößen. Und dann, bevor sie sich zurückhalten konnte, kam ein einziges Wort über ihre Lippen, ihre Stimme zitterte, nicht vor Angst, sondern vor roher, unerträglicher Trauer.
„Warum?“
Ihre Stimme war leise, doch sie hatte eine immense Wucht. Es war keine Frage, die nach einer Erklärung verlangte – denn es gab keine Rechtfertigung für das, was sie getan hatten. Es war ein ungefilterter Ausdruck der Qual, die sie innerlich zeriss, ein Schrei, der den Schmerz jeder einzelnen verlorenen Seele in sich trug.
Die Männer warfen sich einen Blick zu und lachten dann – zu ihrem Entsetzen.
Ihr grausames, spöttisches Lachen hallte über das Palastgelände und erfüllte die Luft wie eine höhnische Melodie boshafter Belustigung. Sie fanden Humor in ihrem Leiden, in dem Massaker, das sie begangen hatten, in der Tatsache, dass sie es noch wagte, nach einer Antwort zu fragen, die sie ihr niemals geben würden.
„Du fragst warum?“, spottete einer von ihnen und trat vor. Er war groß, breitschultrig, sein Gesicht zu einer Grimasse purer Bosheit verzerrt. „Keine Sorge, Prinzessin. Wir werden dich nicht töten.“
Sera stockte der Atem, als er grinste, seine Zähne waren vergilbt, seine Augen glänzten vor krankem Vergnügen.
„Wir werden erst ein bisschen Spaß mit dir haben“, fuhr er fort, seine Stimme triefte vor Schmutz, „eine nach der anderen. Und wenn wir fertig sind …“
Ein anderer Mann lachte und unterbrach ihn. „Es wäre doch viel zu schade, jemanden zu töten, der so hübsch ist wie du.“
Das Lachen ging weiter, leise und kehlig, die Männer unterhielten sich miteinander, als wäre sie nichts weiter als ein Gegenstand, den man benutzen und wegwerfen konnte.
Sera konnte nicht atmen.
Ein Druck baute sich in ihr auf, ein Sturm der Wut, der so stark war, dass sie das Gefühl hatte, er würde sie völlig verschlingen. Die Wut, die Trauer, der Schmerz – alles brach auf einmal über sie herein, überwältigend, unerträglich. Ihre Hände zitterten an ihren Seiten, ihre Sicht verschwamm unter der Last all dessen, was sie verloren hatte, und dann –
Dunkelheit.
Sie strömte aus ihrem Körper wie dichter, lebender Rauch, der sich um sie wickelte wie die Tentakel eines wahr gewordenen Albtraums. Die Schatten pulsierten vor unnatürlicher Energie, einer abgrundtiefen Kraft, die das Licht um sie herum zu verschlingen schien. Die Temperatur sank rapide. Das Gelächter verstummte.
Die Männer stolperten zurück, ihre Gesichter verzerrt vor Verwirrung und Unbehagen, als die kriechende Dunkelheit auf sie zukam, sich um ihre Knöchel schlang und wie gespenstische Ketten an ihren Beinen hochkroch.
„Was … Was ist das?“, stammelte einer von ihnen mit vor Angst belegter Stimme. Er versuchte sich zu bewegen, aber die Dunkelheit klammerte sich an ihn, zog sich zusammen und würgte ihn. „Das … das ist unmöglich!“
User blieb im Gegensatz zu den anderen still. Sein Blick blieb auf Sera geheftet, sein Gesicht war blass. Seine Gedanken schrien ihn an, zu rennen, zu fliehen, bevor es zu spät war. Er hatte in seinem Leben schon vieles gesehen, aber das hier? Das war etwas, das den menschlichen Verstand überstieg.
Das war nicht die Kraft eines gewöhnlichen Mädchens.
Das war etwas anderes.
Währenddessen spürte Nate die Kraftentladung und verschwendete keine Zeit. Sein Körper reagierte instinktiv, er schlang seine Arme um Cleo und verschwand in einer verschwommenen Bewegung, wobei er das Kind aus der sich ausbreitenden Leere der Dunkelheit trug. Als er außerhalb des betroffenen Bereichs wieder auftauchte, setzte er sie vorsichtig ab und achtete darauf, dass sie weit genug entfernt war, um in Sicherheit zu sein.
Dann wandte er sich wieder dem Palast zu und kniff die Augen zusammen, als er den Anblick vor sich wahrnahm.
Die Dunkelheit hatte sich rasend schnell ausgebreitet und alles in ihrer Reichweite verschlungen. Der gesamte Innenhof war unter einer obsidianfarbenen Nebelwand verschwunden, einer wirbelnden Masse aus Schatten, die so dicht war, dass man nichts mehr sehen konnte, was sich hinter ihren sich bewegenden Tentakeln befand. Selbst aus der Entfernung konnte Nate die panischen Schreie der Männer hören, die darin gefangen waren.
Und die Menschen von Kemet-Ra hatten es bemerkt.
Aus der Sicherheit ihrer Häuser und Straßen beobachteten sie mit Entsetzen, wie sich der schwarze Nebel wie ein Omen des Untergangs ausbreitete. Einige klammerten sich an ihre Roben und flüsterten Gebete zu den Göttern, während andere auf die Knie fielen, ihre Gesichter von blanker Angst gezeichnet.
„Der Zorn der Götter …“, murmelte jemand.
Eine andere Stimme, zitternd, schrie: „Das … Das ist die Macht der Götter!“
Panik brach in der Stadt aus.
Die Leute schrien, rannten weg, stürmten in ihre Häuser, schlugen Türen zu und verbarrikadierten Fenster, als wollten sie sich vor der göttlichen Strafe schützen, die sich vor ihren Augen abspielte. Der Marktplatz leerte sich in Sekundenschnelle, die Straßen wurden gespenstisch still.
Und dennoch, in der Dunkelheit …
Die Männer schrien.
Es waren keine Schreie von Kriegern oder von Männern in der Schlacht. Nein. Es waren Schreie der Qual, von Seelen, die auseinandergerissen wurden.
In der Leere zappelten sie, ihre Körper zuckten, während die Schatten jeden Poren ihres Wesens durchdrangen. Sie verschlangen sie nicht nur – sie fraßen sie von innen heraus auf.
Ihre Haut wurde blass, ihre Adern verdunkelten sich, ihre Körper krümmten sich vor Qual, während das Leben Stück für Stück aus ihnen entwich.
Sie versuchten, sich zu wehren, zurückzuschlagen, aber es gab kein Entkommen aus dem Abgrund.
Und Sera –
Sera stand in der Mitte des Geschehens, ihr Körper von der sich windenden Dunkelheit umgeben, ihr Gesichtsausdruck unlesbar, ihr Blick auf die Männer geheftet, die ihr verdientes Schicksal erlitten.
Nate stand wie erstarrt da, den Blick auf den wirbelnden Abgrund der Dunkelheit vor ihm geheftet, die pechschwarze Masse, die sich wie ein lebender Albtraum wand und krümmte. Er hatte schon vieles gesehen, Kräfte erlebt, die sich der natürlichen Ordnung widersetzten, aber das hier – das war jenseits aller Vorstellungskraft.
Es war nicht nur das schiere Ausmaß der Zerstörung, das sich vor ihm abspielte. Es war die Tatsache, dass dies Sera war.
Dasselbe Mädchen, das noch vor zwanzig Minuten nichts weiter als ein normaler Mensch gewesen war – machtlos. Und jetzt?
Jetzt war sie eine Wesenheit der Dunkelheit selbst.
Eine Kraft, die Leben gnadenlos verschlang.
Seine Finger ballten sich zu Fäusten, sein Verstand raste durch alle Möglichkeiten. Wie? Wie war es möglich, dass sie aus dem Nichts zu diesem Wesen geworden war? Sein Blick schärfte sich, als er an alles zurückdachte, was geschehen war.
Der König.
Was auch immer er in diesem Tunnel entfesselt hatte, bevor er ihn getötet hatte – Sera war mittendrin gefangen gewesen. Sie war bewusstlos gewesen, regungslos, und als sie aufgewacht war, war sie noch immer einfach nur sie selbst gewesen. Aber offensichtlich hatte sich unter der Oberfläche etwas verändert, etwas, das ihr bis jetzt nicht bewusst gewesen war.
Nate atmete aus, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern, als der Gedanke seine Lippen verließ.
„Wenn sie ihre Kräfte gerade erst bekommen hat … wie zum Teufel kann sie dann schon so stark sein?“
Seine Worte hingen unbeantwortet in der Luft, verloren in der wachsenden Stille, die die sterbenden Schreie ersetzt hatte.
Ein sanftes Ziehen an seinem Arm riss ihn aus seinen Gedanken.
Er sah nach unten und sah Cleo, deren kleine Hände sein Handgelenk fest umklammerten und deren große Augen vor unterdrückten Tränen glänzten. Ihre Lippen zitterten, als sie versuchte, tapfer zu sein, aber die Angst in ihrem Gesichtsausdruck war unverkennbar.
„Nate …“, sagte sie mit leiser, zerbrechlicher Stimme, kaum mehr als ein Flüstern. „Wird Sera wieder in Ordnung kommen?“
Sie zuckte leicht zusammen, als ein weiterer erstickter Schrei aus der Dunkelheit hallte, und ihre kleinen Finger krallten sich um sein Handgelenk, als hätte sie Angst, er könnte auch verschwinden.
Nates Blick wurde weicher. Ohne zu zögern hockte er sich hin und hob sie mühelos in seine Arme. Sie vergrub sofort ihr Gesicht an seiner Schulter und suchte Trost in seiner Nähe.
Er strich ihr mit einer Hand durch die Haare, seine Berührung war sanft und beruhigend. „Sie wird es schaffen“, flüsterte er, seine Stimme fest, trotz der Unsicherheit, die an ihm nagte. „Sera ist stark. Sie wird zu uns zurückkommen.“
Cleo schniefte und nickte schwach an seiner Schulter.
Und dann…
Die Schatten begannen sich zurückzuziehen.
Die dicke, erstickende Schwärze, die den Palasthof umhüllt hatte, löste sich auf und zog sich wie Rauch im Wind zurück. Langsam kam die Welt Stück für Stück wieder zum Vorschein, und die Folgen des Geschehens lagen offen vor ihnen.
Nate stockte der Atem.
Die Leichen – oder das, was von ihnen übrig war – lagen verstreut auf dem Boden.
Was einst Menschen gewesen waren, die geatmet, gelacht und gestichelt hatten, waren jetzt nur noch Hüllen ihrer selbst. Ihr Fleisch war geschrumpft, ihre Haut hing unmöglich straff über ihren Knochen. Ihre Gesichter waren in Ausdrucksformen unvorstellbarer Qual erstarrt, anstelle ihrer Augen waren hohle Höhlen, ihre Lippen waren verzerrt, als wären sie mitten in einem Schrei erstarrt.
Mumifiziert.
Sie sahen aus, als wäre ihnen das Leben selbst entzogen worden, ihr Blut, ihre Organe – alles war weg. Übrig blieben nur brüchige Überreste, zerbrechlich wie altes Pergament, Körper, die zu leeren Hüllen geworden waren.
Nate schluckte schwer, sein Magen verkrampfte sich bei diesem Anblick. Er hatte schon einmal getötet. Er hatte den Tod auf mehr Arten gesehen, als er zählen konnte. Aber das hier? Das war etwas ganz anderes.
Und mitten in all dem stand Sera.
Sie hatte sich nicht bewegt, seit die Schatten verschwunden waren.
Ihre Schultern hoben und senkten sich in langsamen, schweren Atemzügen, ihr Kopf war leicht gesenkt, dunkle Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht. Sie zitterte nicht. Sie weinte nicht. Sie reagierte nicht einmal auf die Zerstörung, die sie angerichtet hatte.
Ihr Blick wanderte über die Überreste, dunkel, leer, unlesbar.
Nate hatte diesen Blick schon einmal gesehen – den Blick, den jemand hat, wenn er am Abgrund steht und weiß, dass es kein Zurück mehr gibt.
Sie war nicht traurig um die Männer, die sie getötet hatte.
Sie trauerte immer noch um die Menschen, die sie verloren hatte.
Die Menschen, die wie Tiere abgeschlachtet worden waren.
Je mehr sie an sie dachte – an die Kinder, die nie erwachsen werden würden, an die Ältesten, die ihr ganzes Leben damit verbracht hatten, ein Zuhause aufzubauen, nur um es dann niederbrennen zu sehen –, desto mehr verwandelte sich ihre Trauer in etwas anderes.
Etwas Dunkleres.
Nates Augen verengten sich, als er eine winzige Bewegung wahrnahm.
Ein langsamer Puls der Dunkelheit sickerte aus ihrer Haut und schlang sich wie ein lebendes Wesen um sie. Derselbe Abgrund, der gerade eine ganze Gruppe von Mördern verschlungen hatte und nichts als ausgetrocknete Hüllen zurückgelassen hatte.
Ihre Hände ballten sich an ihren Seiten, ihre Fingernägel gruben sich in ihre Handflächen. Ihr Atem wurde schwerer.
Und ihre Augen –
Tiefschwarz.
Eine Leere, wo eigentlich ihre Iris hätte sein sollen, die alles Licht, alle Farbe verschluckte.
Die Dunkelheit kehrte zurück.
Und dieses Mal hielt sie nicht auf.