Die gefrorene Landschaft erstreckte sich endlos vor ihnen, eine ewige Ödnis aus Eis und Schnee. Nate und Alice waren schon eine Weile mühelos dahingeglitten, das Eis-Hoverboard trug sie über die gefrorenen Ebenen, als etwas in der Ferne ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
Es war riesig – ein gewaltiges Tor, das sich so weit zu erstrecken schien, wie das Auge reichte. Seine Struktur war uralt und bestand vollständig aus dickem, frostigem Eis, das unter dem blassblauen Himmel schimmerte. Die Muster, die darin eingraviert waren, sahen unnatürlich aus, wie Adern, die durch ein lebendes Wesen verliefen und ganz schwach pulsierten. Trotz der Kälte konnte Nate eine seltsame Energie spüren, die von ihm ausging, etwas … Fremdes. Etwas Mächtiges.
Als sie näher kamen, runzelte Alice die Stirn, weil sich die Luft plötzlich veränderte. Sie drehte sich leicht zu Nate und wollte etwas sagen, aber bevor sie dazu kam, zerfiel das Hoverboard unter ihren Füßen zu Eissplittern.
„Was zum …?“ Nate hatte kaum Zeit zu reagieren, als sie in die Tiefe stürzten.
Sie waren in großer Höhe unterwegs gewesen, und der Boden war weit unter ihnen. Wenn sie gerade nach unten fielen, würden sie ernsthafte Probleme bekommen.
Nate dachte schnell nach, zog Alice enger an sich und hielt sie fest, während sein Rücken in Flammen aufging. Es war nicht viel – das Feuer sprühte und kämpfte gegen die überwältigende Kälte dieser Welt –, aber es reichte gerade aus, um ihren Fall zu verlangsamen. Die Hitze prallte gegen die Luft, schmolz die Schneeflocken, bevor sie sie berühren konnten, und statt auf den eisigen Boden aufzuschlagen, landeten sie in einer kontrollierten Rolle.
Nate atmete tief durch, sein Herz hämmerte in seiner Brust. Er nahm schnell seine Hände von Alices Taille und drehte sich zu ihr um.
„Was zum Teufel sollte das?“, fragte er und wischte sich den Frost von seiner Jacke. „Warum ist es einfach verschwunden?“
Alice schaute auf ihre Hände, ballte sie dann zu Fäusten und schüttelte den Kopf. „Das war ich nicht“, sagte sie mit unsicherer Stimme. „Irgendwas stimmt nicht … Meine Kräfte funktionieren nicht mehr.“
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Nate starrte sie an und runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“
Alice atmete tief aus und ließ ihren Blick über die vereiste Landschaft schweifen.
„Je näher wir dem Tor kamen, desto schwächer fühlte ich mich. Ich dachte, es wäre nur meine Einbildung, aber jetzt kann ich mein Eis überhaupt nicht mehr herbeirufen.“
Nate presste die Kiefer aufeinander. Er konzentrierte sich auf sich selbst und überprüfte seine eigenen Fähigkeiten. Sein Feuer war noch da, aber es fühlte sich … anders an. Als würde es nicht mehr so frei brennen wie zuvor, als würde etwas Unsichtbares auf ihn drücken.
Etwas unterdrückte sie.
Er atmete tief aus und sah Alice an. „Bleib in meiner Nähe“, sagte er entschlossen. „Was auch immer das verursacht, wir gehen direkt darauf zu.“
Sie nickte und rückte näher an ihn, während sie weitergingen.
Als sie sich dem hoch aufragenden Tor näherten, drehte Alice sich zu ihm um und sprach leiser als zuvor. „Woher wusstest du überhaupt, dass hier draußen etwas ist?“
Nate zögerte, bevor er antwortete. „Weil ich es gesehen habe.“
Alice blinzelte. „Gesehen?“
„In meinem Traum.“ Er hielt den Blick nach vorne gerichtet und beobachtete, wie das massive Tor wie ein stiller Wächter über ihnen aufragte. „Auf der Insel hatte ich diesen seltsamen Traum … Ich habe ihn hier gesehen. In dieser Welt.“
Alice runzelte die Stirn. „Und das reicht dir, um zu glauben, dass dieser Ort damit zu tun hat?“
Nate atmete durch die Nase aus. „Nicht nur das. Denk mal darüber nach – warum ist das Eis damals aufgetaucht? Warum hat es mich und die Madison angegriffen? Warum sind wir hier gelandet? Alles hat angefangen, als wir über dieses Portal gestolpert sind. Das ist kein Zufall.“
Alice sagte nichts, aber er konnte sehen, dass sie über seine Worte nachdachte.
Als sie endlich den Fuß des riesigen Tors erreichten, bemerkte Nate etwas Seltsames.
Einen Durchgang.
Ganz unten am Tor war ein perfekter, mannshoher Riss – als hätte sich etwas mit Gewalt seinen Weg hindurchgezwängt. Der Schnitt war sauber, unnatürlich. Es sah aus, als wäre das Eis mit einer Präzision geschnitten worden, die für eine normale Waffe viel zu perfekt war.
Nate kniff die Augen zusammen und musterte die Höhe der Öffnung. Dann murmelte er: „Diese Höhe … Die kann nur dem Eiswesen gehören.“
Alice neben ihm wurde nervös.
Die Erkenntnis ließ Nate einen Schauer über den Rücken laufen. Das Eiswesen war hier gewesen. Es war durch dieses Tor gekommen. Aber warum?
Ohne ein weiteres Wort trat er vor und drängte sich durch den Durchgang.
In dem Moment, als er die Schwelle überschritt, stockte ihm der Atem.
Vor ihm stand ein uralter Palast, der komplett aus Schnee und Eis gebaut war. Er war riesig und ragte hoch in den Himmel wie ein gefrorenes Monument vergessener Götter.
Die Wände waren aufwendig geschnitzt und mit schimmernden Frostmustern verziert, die sich zu verändern schienen, wenn man sie direkt ansah. Massive Säulen aus reinem Eis stützten das gewaltige Bauwerk, ihre Oberflächen waren glatt wie Glas und reflektierten das blasse blaue Licht dieser Welt.
Obwohl er nur aus Eis gebaut war, wirkte der Palast nicht zerbrechlich – er war imposant, schwer und strahlte eine unheimliche Präsenz aus. Er fühlte sich uralt an. Mächtig. Fast lebendig.
Es war anders als alles, was Nate je gesehen hatte.
Er drehte sich um, um etwas zu Alice zu sagen – nur um festzustellen, dass sie ihm nicht gefolgt war.
Alice stand direkt vor dem Tor und war wie angewurzelt. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Körper war steif. Obwohl ihr Gesicht unlesbar war, konnte Nate es sehen – Angst.
Etwas stimmte nicht.
Mit gerunzelter Stirn trat er einen Schritt auf sie zu. „Alice?“
Sie rührte sich nicht. Ihr Atem ging zittrig und unregelmäßig.
Nate griff nach ihrem Arm. „Hey, was ist los?“
Alice drehte langsam den Kopf zu ihm. Ihre blauen Augen waren von etwas erfüllt, das er noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte.
„Ich weiß es nicht“, flüsterte sie. „Da ist etwas da drin … und es macht mir Angst. Ich kann es nicht kontrollieren.“
Nate spannte sich an. Alice war eine der furchtlosesten Personen, die er kannte. Dass sie so etwas sagte … Was auch immer sich in diesem Palast befand, war nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen konnte.
Er wandte sich wieder der gefrorenen Struktur zu.
Er wollte gehen. Er musste gehen. Er musste wissen, was da drin war.
Aber Alice …
Er ballte die Faust. Wenn sie nicht hineingehen konnte, konnte er sie nicht einfach hier lassen. Er wollte gerade vorschlagen, dass sie gehen und später wiederkommen sollten, als Alice plötzlich den Kopf schüttelte.
Sie sah ihn an, ihr Blick war unsicher, aber entschlossen.
„… Wir sollten reingehen.“
Nate kniff die Augen zusammen. „Bist du sicher?“
Alice atmete langsam aus und nickte dann.
„Ja.“
Sie holte tief Luft und trat vor.
Als Nate und Alice die Schwelle überschritten, umhüllte sie eine unheimliche Stille. Die Luft im alten Palast war noch kälter als draußen, aber es war nicht nur die Temperatur – es war etwas anderes. Etwas Unnatürliches.
Nate spürte es sofort. Eine Präsenz.
Die hoch aufragenden Eiswände reflektierten ihre Silhouetten wie verzerrte Geister. Alles im Inneren war gewaltig – die Decke ragte so hoch empor, dass sie in dem blassblauen Dunst darüber verschwand. Die Wände glänzten wie gefrorene Diamanten, ihre glatten Oberflächen waren mit seltsamen, gezackten Mustern durchzogen. Der gesamte Palast wirkte unberührt von der Zeit, als hätte er schon lange vor allem anderen auf dieser Welt existiert.
Sie gingen weiter, ihre Stiefel knirschten leise auf dem eisigen Boden.
Als sie die Eingangshalle erreichten, zögerte Nate. Er warf Alice einen letzten Blick zu und suchte ihr Gesicht ab. Sie sah angespannt aus, ihre tiefblauen Augen suchten jede Ecke ab, als würde sie erwarten, dass etwas auf sie zuspringen würde.
Sie hatte immer noch Angst.
Nate atmete tief aus und wandte sich dann den massiven Türen vor ihnen zu. Sie waren alt, unglaublich dick und mit komplizierten Schnitzereien verziert, die schwach pulsierten. Mit einem festen Druck drückte er seine Hände gegen sie.
Die Türen ächzten laut, als sie aufschwangen.
Und was sie darin sahen, ließ sie beide erstarren.
Ein Käfig.
Ein riesiger, uralter Käfig stand in der Mitte der riesigen Halle, dessen Gitterstäbe aus dem gleichen schimmernden Eis wie der Palast bestanden. Er war zerbrochen – der metallähnliche Frost war sauber aufgeschnitten worden. Der Schnitt war präzise, unnatürlich, genau wie der Riss im Tor.
Nate und Alice traten näher, ihr Atem war in der eisigen Luft sichtbar.
„Das …“, flüsterte Alice und starrte auf die Überreste des Käfigs. „Hier war etwas gefangen.“
Nates Gedanken rasten. Es gab nur eine Sache, die darin gewesen sein konnte. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, als ihm die Erkenntnis dämmerte.
„… Das Eiswesen war hier gefangen“, murmelte er.
Alice drehte sich zu ihm um, ihr Gesichtsausdruck unlesbar. „Aber wie?“
Nate starrte auf die aufgeschnittenen Gitterstäbe. Wenn das Eiswesen eingesperrt gewesen war, bedeutete das, dass jemand die Macht hatte, es gefangen zu halten. Aber wenn es die Kraft hatte, zu entkommen, warum hatte es dann gewartet, bis sie in dieser Welt angekommen waren?
Was hatte sich verändert?
Bevor er seine Gedanken aussprechen konnte, hallte ein lautes Knallen hinter ihnen.
Die massiven Türen, durch die sie gerade gegangen waren, schlugen zu.
Alice wirbelte herum. „Nate …“
Eine tiefe, uralte Stimme donnerte durch den Saal.
„WER WAGT ES, MEINEN PALAST ZU STÖREN?“
Der Klang traf Nate wie eine physische Kraft und vibrierte durch die Wände des Palastes. Es war keine Stimme der Wut oder des Zorns – sie war alt, mächtig und befehlend.
Nate wirbelte herum und suchte mit seinen Augen den riesigen, leeren Raum ab. „Wo zum Teufel …?“
Da war nichts.
Keine Bewegung.
Keine Gestalt.
Nur die endlosen, eisigen Wände, die sich in die Leere erstreckten.
Alice atmete neben ihm schneller. „Diese Stimme …“, flüsterte sie, und Angst schlich sich in ihre Stimme. „Das war es. Das, was ich gespürt habe, bevor wir hereingekommen sind. Es hat auf uns gewartet.“
Nates Finger zuckten. Das gefiel ihm gar nicht. Was auch immer mit ihnen sprach, zeigte sich nicht – es beobachtete sie, testete sie.
Dann bewegte sich etwas aus dem Augenwinkel von Alice.
Ein Schatten glitt aus der Wand.
Alice schnappte nach Luft und packte Nate am Arm. „Da!“
Nate folgte ihrem Blick – und seine Augen weiteten sich.
Ein Mann stand vor ihnen.
Er war alt – uralt. Seine Haut glich zerbrochenem Eis, sein Körper war dünn und verwelkt, als hätte die Zeit ihn über Jahrhunderte hinweg ausgelaugt. Sein Haar war lang, schneeweiß und fiel ihm in Strähnen über die zerbrechlichen Schultern. Seine Roben, zerfetzt und doch majestätisch, schimmerten mit einem eisigen Glanz, als wären sie aus Eis gewebt.
Aber seine Augen …
Sie waren leer.
Blass.
Wie gefrorene Leere, die viel zu viel gesehen hatte.
Seine Lippen bewegten sich kaum, als er eine verwelkte Hand hob.
Die Luft bewegte sich.
Nate hatte kaum Zeit zu reagieren, bevor eine unsichtbare Kraft gegen seine Brust schlug.
Er wurde in die Luft gehoben.
Die Kälte durchdrang ihn wie ein Messer und ließ ihm den Atem stocken. Er spürte nur für eine Sekunde die Schwerelosigkeit, bevor er nach hinten geschleudert wurde.
SMASH!
Er krachte mit brutaler Wucht gegen die gefrorene Wand des Palastes, der Aufprall drückte ihm die Luft aus den Lungen. Das Eis umschloss ihn und hielt ihn fest – seine Arme klebten an der Oberfläche, als hätten ihn gefrorene Ketten an Ort und Stelle festgenagelt.
Sein Körper spannte sich an, als Schmerz durch seinen Rücken schoss. Er wehrte sich, aber es war zwecklos – das Eis war nicht nur physisch, es war etwas Stärkeres.
Alice machte einen Schritt nach vorne, die Augen weit aufgerissen. „Nate!“
Der alte Mann sprach endlich, seine Stimme war brüchig und schwer vom Alter.
„Wer bist du?“
Sein Blick ruhte auf Nate, und das Gewicht dieses Blicks ließ eine weitere Welle kalter Angst durch ihn hindurchfahren.
Dieser Mann – dieses Wesen – war nicht normal.
Und Nate hatte das unangenehme Gefühl, dass sie gerade in etwas geraten waren, das weit über ihre Kontrolle hinausging.