Dunkelheit umhüllte ihn.
Kael schwebte in einem Meer aus Schatten, wo Zeit und Raum nicht mehr zu existieren schienen. Es war, als würde er endlos in sich selbst fallen – ohne Boden, ohne Ende. Ferne Geräusche hallten wie Flüstern wider und kratzten mit verzerrten, fast unverständlichen Worten an seinem Verstand.
„Akzeptiere … die Bestie …“
Die Stimme klang wie gedämpfter Donner – kehlig, voller Bosheit. Sie war tief und vibrierte vor verdorbener, dämonischer Energie.
Kael versuchte sich zu wehren, aber er konnte sich nicht bewegen – sein Körper war von unsichtbaren Ketten gefesselt, die sich umso mehr zusammenzogen, je mehr er sich wehrte.
„Du wurdest geboren, um zu jagen … Seelen. Monster. Götter.
Alles, was existiert … Du bist der Jäger … Lass den Hunger die Kontrolle übernehmen … Hör auf, dich an dieses ekelhafte Ding zu klammern, das du Menschlichkeit nennst.“
Eine monströse Präsenz tauchte aus der Leere auf – ohne definierte Form, aber spürbar. Wie eine Kreatur aus tausend Zähnen und tausend Augen, alle gierig, alle darauf wartend, die Welt durch ihn zu verschlingen. Das Mana um ihn herum verdichtete sich wie Teer, sickerte zu seiner Brust und versuchte, sich mit seiner Seele zu verbinden.
Kael schrie, aber es kam kein Ton heraus.
Die Stimme brüllte: „Ein Jäger muss jagen!“
Aber dann … veränderte sich etwas.
Eine sanfte Wärme durchdrang die Schatten wie ein Lichtstrahl. Die dämonische Präsenz schwankte für einen Moment, als hätte etwas ihre Verbindung zu Kael unterbrochen. Und dann, aus dem Nichts … erschien sie.
Ein Fuchs.
Ihr Körper war schlank und elegant, mit sieben orange-golden glühenden Schwänzen, die wie aus reiner Energie zu sein schienen und hin und her wedelten. Ihre Augen waren tief bernsteinfarben, und in ihrer Gegenwart wich sogar die Verderbnis zurück.
Sie landete sanft zwischen Kael und dem dämonischen Wesen, und als ihre Pfoten den nicht vorhandenen Boden des Traums berührten, strömte eine Energiewelle nach außen.
Die Dunkelheit schrie, wand sich und versuchte, Widerstand zu leisten … aber es war zwecklos.
Die Füchsin blickte direkt in das Innerste von Kaels Seele – eine pulsierende Kugel, umhüllt von dichten Schatten und Rissen, die alles zu verschlingen schienen. Ihre bernsteinfarbenen Augen funkelten vor uralter Weisheit. Ihre Anwesenheit strahlte göttliche Ruhe aus, trug jedoch die Last von etwas sehr, sehr Altem.
Ihre Stimme, sanft und gebieterisch zugleich, hallte klar durch die Traumwelt:
„Das Schicksal liebt es, zu schreien, wenn etwas so Großes erwacht.“
Sie lächelte – eine Mischung aus Ironie und Ehrfurcht spielte um ihre Lippen.
Langsam drehte sie sich zu der dämonischen Energie um, die vor ihr brodelte – eine groteske, lebende Masse, deren Tentakel aus verdorbenem Mana erneut nach Kael griffen.
„Göttliche Reinigung.“
Die Worte klangen wie ein Satz. Im nächsten Moment strahlte goldenes Licht aus ihr heraus – strahlend und absolut. Wie ein Stern, der lautlos explodiert, fegte das Licht über alles hinweg – Schatten, Bosheit, Verderbnis. Die Welt versank in einem warmen, beruhigenden Weiß.
Die Dunkelheit schrie lautlos, während sie sich auflöste. Und in der goldenen Leere, die zurückblieb, seufzte die Füchsin.
„Ich habe uns etwas Zeit verschafft …“, murmelte sie und blickte auf die frisch gereinigte Leere.
Sie drehte sich zu Kael um, der sie nun mit verwirrten, neugierigen Augen ansah. In seinem Blick lag Ehrfurcht, aber auch eine zurückhaltende Unschuld – er verstand noch nicht, was geschehen war oder wer sie war.
„Dein Leben ist ein Chaos, Junge“, sagte sie mit einem sanften, fast mütterlichen Lächeln.
Sie ging mit ruhigen Schritten auf ihn zu, ihr Mantel aus Schwänzen floss hinter ihr her wie ein ätherischer Tanz. Sie blieb vor ihm stehen, nah genug, dass Kael die Wärme ihres Lichts spüren konnte.
„Du wirst dich an nichts davon erinnern …“, sagte sie sanft und berührte sein Kinn. „Beast Monarch.“
Und dann, ohne Vorwarnung, beugte sie sich vor und küsste ihn.
Es war ein kurzer, zarter Kuss – aber genug, um etwas zu besiegeln. In dem Moment, als sich ihre Lippen berührten, durchflutete eine Welle purer Energie Kaels Geist. Sein Bewusstsein erzitterte, sein Körper glühte, und in einem einzigen Herzschlag wurde alles schwarz.
Stille.
Dunkelheit.
Langsam kehrte die Welt zurück.
Zuerst kamen die Geräusche – gedämpft, weit weg. Das leise Ticken einer alten Uhr, die an der Wand hing. Das sanfte Rascheln des Windes, der die Vorhänge leicht bewegte. Dann kam der Duft – etwas Frisches, vielleicht Blumen, und ein schwacher Hauch von alchemistischen Heilmitteln lag in der Luft. Und schließlich das Licht. Sanft, golden, fiel es durch die hohen Fenster herein.
Kael öffnete langsam die Augen.
Sein Körper fühlte sich an wie aus Stein. Schwer, taub, aber … lebendig. Als er tief einatmete, spürte er einen Widerstand in seiner Brust, als hätte er einen Kampf in sich selbst ausgefochten.
Die Decke über ihm war weiß und mit goldenen Details verziert. Das war nicht sein Zimmer. Das Bett war zu weich. Die Laken dufteten nach Heilkräutern und stabilisierender Magie. In die Wände eingelassene Kristalle pulsierten sanft mit einer heilenden Mana-Aura. Er erkannte den Ort – den speziellen Krankenflügel der Akademie, der nur für die schwersten Fälle reserviert war.
Aber das war nicht das Erste, was ihm auffiel.
Zu seiner Linken lag eine Gestalt zusammengerollt auf einem blauen Samtsofa und schlief mit zur Seite geneigtem Kopf, während ihr langes goldenes Haar wie ein schimmernder Vorhang über ihre Schultern fiel. Irelia. Selbst im Schlaf zeigte ihr Gesicht noch Spuren von Sorge, als hätte sie sich nicht wirklich ausgeruht.
Rechts von ihm saß Amelia zusammengesunken auf ihren Beinen, den Kopf auf den Armen wie auf einem provisorischen Kissen ruhend und sich an den Tisch neben sich lehnend. Ihre Schultern hoben und senkten sich im Rhythmus ihres tiefen, erschöpften Schlafes. Um sie herum lagen verstreut magische Notizzettel, als hätte sie stundenlang seinen Zustand überwacht, bevor sie schließlich der Müdigkeit erlegen war.
Und direkt neben dem Bett saß Sylphie, über sich selbst gebeugt, das Kinn auf die Matratze gestützt, und schlief mit halb geschlossenen Augen und dunklen Ringen darunter. Eine kalte Tasse Tee stand vergessen auf dem Nachttisch, und ihre Finger hielten noch immer leicht den Ärmel von Kaels Mantel fest, als hätte sie Angst, er könnte verschwinden, wenn sie losließe.
Kael beobachtete sie einen langen Moment schweigend, während sich seine Brust vor Überraschung und Schuldgefühlen zusammenzog.
Sie waren hier gewesen. Die ganze Zeit.
„Du …“, murmelte er, aber seine Stimme klang heiser und rau, als hätte er tagelang nicht gesprochen.
Sylphie regte sich als Erste. Ihre Augen öffneten sich langsam, rot und tränengefüllt, als stünde sie kurz vor einer weiteren schlaflosen Nacht. Als sie Kaels Blick bemerkte, war sie sofort erschrocken.
„Kael?“
Ihre Stimme zitterte vor Unglauben.
Amelia schreckte bei dem Geräusch hoch, hob den Kopf und riss die Augen auf. Irelia, die wacher war, als sie aussah, erwachte mit einem leisen Keuchen und war innerhalb einer Sekunde auf den Beinen.
„KAEL!“, riefen alle drei gleichzeitig, ein gedämpfter Chor, der in der überwältigenden Erleichterung, die aus ihren Augen strömte, unterging.
Amelia stürzte sich nach vorne und griff fest nach seiner Hand.
„Du … bist endlich aufgewacht … wir dachten schon, dass … vielleicht …“ Sie konnte den Satz nicht beenden. Ihre Stimme brach.
Irelia holte tief Luft und versuchte, sich zu beherrschen, aber Kael konnte das Glitzern in ihren Augen sehen. Sie setzte sich auf die Bettkante und strich ihm sanft mit der Hand durch die Haare, als müsse sie sich vergewissern, dass er wirklich da war.
Sylphie senkte nur den Kopf und presste die Augen zusammen. Zwei Tränen rollten lautlos über ihre Wangen.
„Du warst eine Woche lang bewusstlos … eine ganze Woche, ohne aufzuwachen … wir dachten …“ – ihre Stimme brach am Ende, verschluckt von dem Kloß in ihrem Hals.
Kael sah sie an, seine Augen waren noch schwer, aber klar. Sie hatten jetzt etwas anderes … eine Tiefe, die vorher nicht da gewesen war, als hätte er etwas Unbegreifliches berührt.
Trotzdem lächelte er. Schwach, aber aufrichtig.
„Entschuldige … entschuldige, dass ich dir Sorgen gemacht habe“, murmelte er mit rauer Stimme, wie ein vergessenes Flüstern.
Dann schloss er für einen Moment die Augen und spürte eine seltsame Ruhe in sich. Eine beruhigende Stille. Etwas hatte sich verändert – tief in seinem Innersten, im Kern seiner Seele. Diese dunkle Präsenz, der erstickende Druck, den er vor seiner Ohnmacht gespürt hatte, war verschwunden – ersetzt durch etwas … Wilderes. Leuchtendes. Ruhiges.
Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass Amelia ihn aufmerksam beobachtete, als würde sie jede Mikroexpression, jeden Manapuls um ihn herum studieren. Aber es war nicht der Blick einer Wissenschaftlerin – es war der Blick von jemandem, der sich um ihn sorgte.
Irelia seufzte und setzte sich fester an seine Seite, eine Hand sanft auf seine Brust gelegt. „Du bist völlig zusammengebrochen.
Lyra sagte, dein Herz sei von einer massiven Welle unreiner Mana überwältigt worden und habe einfach aufgehört zu schlagen. Wir haben ehrlich geglaubt, du würdest sterben.“
„Aber …“, fügte Amelia hinzu und wischte sich unauffällig mit dem Handrücken über die Augen, „… nach ein paar Tagen begann dein Körper, sich von selbst anzupassen. Als würde er sich von innen heraus wieder aufbauen. Keine unserer Methoden hat das bewirkt. Das war allein dein Verdienst.“
Kael blinzelte, immer noch benommen, und versuchte, alles zusammenzufügen.
„Ich … habe etwas geträumt. Ich kann mich nicht wirklich daran erinnern“, murmelte er und versuchte, die verschwommenen Erinnerungsfetzen zu fassen. „Da war … eine Stimme. Und Licht. Viel Licht.“
Die drei sahen sich an, und es entstand eine bedrückende Stille zwischen ihnen. Eine Stille, die mehr sagte als tausend Worte – die Erleichterung, die Angst, die Anspannung … und die Zuneigung, die keiner von ihnen so recht erklären konnte.
„Ihr seid die ganze Zeit bei mir geblieben?“, fragte er mit fast kindlicher Stimme.
„Natürlich“, antwortete Irelia, als wäre das das Selbstverständlichste der Welt. „Wer hätte sonst deine Hand gehalten und dich angeschrien, wenn du dich wieder entschlossen hättest zu sterben? Wenn deine Mutter aufgetaucht wäre, wäre die Welt untergegangen! Wir mussten dafür sorgen, dass du aufwachst!“
Amelia lächelte schwach. „Ich glaube, du schuldest uns erst mal eine Woche Schlaf.“
Und Sylphie … senkte nur wieder den Kopf, aber diesmal mit einem zitternden Lächeln auf den Lippen. „Idiot …“
Kael schloss wieder die Augen. Nicht um zu schlafen – nur um zu fühlen.
Um zu fühlen, dass er hier war. Lebendig.
Und doch … Was zum Teufel bedeutet das überhaupt?
[Du hast den Titel „Beast Monarch“ erhalten.]