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Kapitel 323: Asef (6)

Kapitel 323: Asef (6)

„Wer bist du?“, fragte der Mann vor ihm.

Asef starrte ihn nur an.

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Sein Körper zuckte nicht. Er stand einfach da, mit stumpfen Augen und unbeweglichen Lippen.

Er wusste nicht, warum er hierher gekommen war.

Er konnte sich nicht erklären, was ihn zu diesem einsamen Haus in der Ebene gezogen hatte.
Etwas in der Luft? Ein Geruch im Wind? Oder war es wie damals, als er als Junge zum Brunnen gewandert war?

Diese Erinnerung tauchte schwach auf, wie eine Glut, die in einem Haufen Asche aufflammt.

Ein kurzer Schmerz durchzuckte seine Brust.

Aber sein Gesicht blieb ausdruckslos.
„Wer bist du?“, wiederholte der Mann mit schärferer Stimme. Nicht grausam, aber eindringlich, als wolle er Asef in die Gegenwart zurückholen.

Asef überlegte, ob er antworten sollte. Er wollte es wirklich.

Aber als er den Mund öffnete, kam kein Ton heraus.

Nicht einmal ein Krächzen.

Selbst wenn er es geschafft hätte zu sprechen, war er sich nicht sicher, ob seine Stimme noch menschlich geklungen hätte.

Also drehte er sich stattdessen um.
Langsam. Ohne ein Wort.

Er schuldete diesem Fremden nichts.

Er hatte keinen Grund, hier zu sein.

Er hätte einfach weggehen können, wie er es immer tat.

Aber der Mann bewegte sich mit unerwarteter Schnelligkeit und stellte sich ihm in den Weg, bevor er mehr als ein paar Schritte machen konnte.

„Komm mit mir.“

Es war keine Drohung.
Nur eine Anweisung. Ein leiser Befehl von jemandem, der glaubte, es besser zu wissen.

Asef folgte ihm.

Er wusste nicht warum.

Vielleicht weil der Mann nicht noch einmal schrie. Vielleicht weil dieses Haus – dieses ruhige, einsame Haus – wie ein Ort wirkte, an dem die Welt aufhören könnte, sich zu drehen.
Oder vielleicht war es einfach, weil es ihm egal war, in welche Richtung seine Füße ihn trugen.

Der Mann ging durch die hölzerne Tür, und Asef blieb einen Moment lang stehen.

Sein Blick folgte dem Rand des Türrahmens. Der Art, wie das Holz mit den Jahren abgesplittert war. Dem leisen Knarren der Scharniere.

Er hatte kein Haus mehr betreten, seit sein eigenes zerstört worden war.

Er hatte seit Jahren keine Schwelle mehr überschritten.
Der Mann musste sein Zögern bemerkt haben.

„Keine Sorge. Ich werde dir nichts tun.“

Aber Asef hatte keine Angst vor ihm.

Er hatte vor nichts Angst.

Das war das Problem.

Nach ein paar Sekunden trat er ein.
Das Haus war einfach. Bescheiden. Es hatte zwei Stockwerke, wobei das zweite vorerst ungenutzt blieb. Im Erdgeschoss gab es nur zwei Räume – eine Küche und einen Wohnbereich. Alles roch leicht nach Staub und getrockneten Kräutern.

Der Mann führte ihn in die Küche und zog einen Stuhl hervor.

Dann stellte er eine Schüssel vor Asef hin.

„Ich denke, du solltest das annehmen“, sagte er.
Dann hob er mit einer sanften Bewegung seinen Stock.

Ein schwaches Licht schimmerte an der Spitze, und die Schüssel füllte sich von selbst.

Der Duft von warmer, fleischiger Suppe stieg in die Luft.

Wäre dies der alte Asef gewesen – das Kind, das nach einem magischen Brunnen gesucht hatte, um den Wunsch seiner Mutter zu erfüllen –, hätte er nach Luft geschnappt.

Er hätte gegrinst. Geklatscht. Gelacht.
Aber dieser Asef?

Er starrte nur vor sich hin.

Nach dem Vorfall in der Quelle konnte er sich nicht mehr daran erinnern, was mit ihm passiert war.

Wenn andere ihn fragten, sagte er nur, dass er nach der Quelle suche. Aber er wusste nicht, ob er sie gefunden hatte oder nicht.

Doch nach der Nacht, in der seine Mutter gestorben war, waren die Erinnerungen zurückgekehrt.

Und mit ihnen das Wissen.

Er wusste, dass etwas in ihm war.
Etwas, das ihn beobachtete.

Und seitdem hatte die Magie ihre Schönheit verloren.

Sie weckte keine Bewunderung mehr. Sie weckte Angst.

Trotzdem machte er keine Szene. Er wich nicht zurück. Er nahm einfach den Löffel.

Und begann zu essen.

Langsame, bedächtige Bissen.

Als hätte er alle Zeit der Welt.

Der alte Mann beobachtete ihn schweigend. Seine Stirn war leicht gerunzelt.
Er hatte Asef schon von weitem beobachtet. Seit dem Tag, an dem er sich auf den Weg in die Ebene gemacht hatte. Er wusste, wie hungrig dieser Mann sein musste.

Aber es lag keine Verzweiflung in der Art, wie er aß. Er riss nicht nach dem Essen.

Keine Gier. Keine Eile.

Nur … Akzeptanz.

Oder Taubheit.

„Möchtest du noch mehr?“, fragte er sanft, als Asef den Löffel absetzte.

Es kam keine Antwort.

Also füllte der Mann die Schüssel mit einem weiteren Lichtblitz aus seinem Stock wieder auf.

Natürlich zauberte er das Essen nicht aus der Luft. Das war unmöglich. Das war nur ein Partytrick.

Asef aß weiter.

Eine Schüssel nach der anderen.

Immer wieder.

Bis nichts mehr übrig war.

Erst dann stand Asef auf und schob den Stuhl langsam zurück.
Er drehte sich zur Tür.

„Willst du heute Nacht hier schlafen?“, fragte der alte Mann.

Immer noch keine Antwort.

Kein Blick.

Nur langsame, gleichmäßige Schritte in Richtung Ausgang.

Der Mann seufzte. „Es tut mir leid.“

Dann sprühte erneut ein Lichtblitz aus seinem Stock.

Und Asef brach zusammen.

Er schrie nicht. Er wehrte sich nicht.
Er sank einfach bewusstlos zu Boden.

Der Mann fing ihn mit einem weiteren Zauber auf und hob ihn sanft hoch.

Er trug Asef zum Sofa im Wohnzimmer und legte ihn mit geübter Sorgfalt hin.

Er schien keine bösen Absichten zu haben.

Er hielt einen Moment inne und betrachtete die Falten in Asefs Gesicht.

Falten, die für jemanden in seinem Alter zu tief waren.
Dann nickte er leise, drehte sich um und ging nach oben.

Es wurde wieder still im Haus.

***

In dieser Nacht träumte Asef zum ersten Mal seit Jahrzehnten.

Oder vielleicht sollte man es eher einen Albtraum nennen.

Der Traum war unklar, ohne Logik oder Zusammenhang. Nur Momente, Bilder, Fragmente von etwas tief Vergrabenem.
Er sah das Gesicht seiner Mutter, blass und still im flackernden Kerzenlicht.

Dann blitzte Stahl auf.

Die Hand seines Bruders.

Das Schwert, das ihre Brust durchbohrte.

Es war nicht real. Zumindest nicht so, wie er es in Erinnerung hatte. Er hatte diesen Moment nie wirklich gesehen. Aber sein Verstand hatte ihn heraufbeschworen, grausam und lebhaft, und füllte die Lücken, die seine Augen nicht gesehen hatten.
Er wachte mit einem Ruck auf.

Keine Schreie. Kein Schweiß. Nur eine kalte Stille, die tiefer sank als die Luft um ihn herum.

Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte Asef das Gefühl, wirklich geschlafen zu haben.

Sein Körper schmerzte weniger. Seine Glieder bewegten sich, wenn er es wollte. Hinter seinen Augen lag eine Klarheit, die zuvor nicht da gewesen war.

Er drehte langsam den Kopf und sah einen kleinen Tisch neben der Couch.
Darauf standen ein Krug mit Wasser und ein Glas.

Sein Körper bewegte sich, bevor seine Gedanken nachkommen konnten. Er griff nach dem Glas und trank.

Diesmal trank er gierig, anders als am Abend zuvor, als er langsam und bedächtig gegessen hatte.

Das Wasser floss ihm die Kehle hinunter, aber es war nicht genug.

Nicht annähernd genug.

Er schenkte sich noch ein Glas ein.

Dann noch eins.
Der Krug zitterte leicht in seinen Händen, als er ihn immer wieder auffüllte, bis er endlich leer war.

Erst dann senkte er das Glas und bemerkte, dass er nicht allein war.

Ihm gegenüber saß der alte Mann auf einem Stuhl und beobachtete ihn schweigend.

Ohne zu urteilen. Ohne zu lächeln. Er beobachtete ihn einfach nur.

„Keine Sorge“, sagte der Mann nach einem Moment. „Das war für dich.“
Die Worte hätten nichts bedeuten sollen.

Aber sie taten es doch.

Asef spürte, wie sich etwas in ihm regte, etwas Kleines und Seltsames. Ein längst vergessener Reflex.

Er wollte etwas sagen. Nur zwei Worte. Ein einfaches „Danke“.

Wahrscheinlich dank des Essens, das er zu sich genommen hatte, ging es ihm besser.

Er öffnete die Lippen.

Luft strömte durch seine Kehle. Sein Mund formte die Worte.

Aber es kam kein Ton heraus.
Er hielt inne.

Dann versuchte er es erneut.

Immer noch Stille.

Aber zum ersten Mal hatte er das Gefühl, wieder sprechen zu können.

Vielleicht nicht jetzt.

Aber bald.

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Score 8.6
Status: Ongoing Author: Artist: Released: 2024 Native Language: German
Das MMORPG "EVR" kam eines Tages ganz überraschend raus, zusammen mit seiner coolen Ausrüstung, mit der man voll ins Spiel eintauchen konnte, obwohl die VR-Technik damals noch nicht so realistisch war. Damit die Leute ihr echtes Leben nicht durch das Spiel ersetzten, wurden die Server tagsüber und am Wochenende abgeschaltet. Ich war der Beste im Spiel, aber da ich keine Freunde oder Familie hatte, konnte ich nur zuschauen und auf Sport wetten, während ich darauf wartete, dass die Server wieder geöffnet wurden – bis zu dem Tag, an dem ich starb und eine Woche vor der Veröffentlichung des Spiels zurückversetzt wurde. Ich weiß alles, was im Spiel passieren wird. Ich weiß, dass das Spiel nicht nur realistisch ist, sondern real. Und aus irgendeinem Grund muss ich mich nicht ausloggen!

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