Roselia erstarrte. Dieses Schlachtfeld war eine verdrehte Nachbildung ihres größten Versagens – als sie sich entschieden hatte, ein Dorf zu beschützen und ein anderes dem Feuer zu überlassen. Sie hatte diese Schuld unter Stärke, Ehrgeiz und Stolz begraben.
Aber jetzt stand sie vor ihr.
Tränen traten ihr in die Augen, als sie ihr Schwert zog. „Ich trage sie mit mir. Jeder Schritt, jeder Kampf, ich gehe für diejenigen, die ich nicht retten konnte.“
Die Illusion schlug zuerst zu, aber Roselia kämpfte nicht nur mit Geschick, sondern auch mit ihrem Herzen. Als die Illusion zerfiel, hinterließ sie eine brennende Rose, die sie pflückte und in ihre Rüstung steckte, um ihre Gefallenen still zu ehren.
Romans Prüfung – „Der Spiegel des Verrats“
Roman stand in einem makellosen weißen Tempel, umgeben von goldenen Säulen. In der Mitte stand ein Banketttisch, an dem ihm bekannte Gesichter saßen – seine Familie, alte Freunde, längst verstorbene Gefährten.
Sie hoben ihre Gläser und lächelten.
„Willkommen zurück, Roman. Du hast dich endlich für uns entschieden.“
Dann sah er es – Leons Kopf, auf einem Silbertablett.
Er wich entsetzt zurück, als ihre Lächeln scharf und monströs wurden. „Du bist einer von uns“, skandierten sie. „Warum kämpfst du für jemanden, der dich genauso im Stich lassen wird wie alle anderen?“
Diese Prüfung spielte mit Romans Vergangenheit – Verrat durch Kameraden, Narben, die ihm diejenigen hinterlassen hatten, denen er vertraut hatte. Eine verborgene Angst: dass Leon eines Tages auch weggehen würde.
Aber als die Illusion ihn bedrückte, zog Roman seinen Speer aus der Luft und rief: „Ich habe meinen Weg gewählt – und ich werde niemals bereuen, auf welcher Seite ich stehe!“
Mit jedem Stoß zerschmetterte er die falschen Gesichter. Der Tempel brach zusammen und gab den Blick auf einen sternenklaren Himmel frei, und sein Speer leuchtete schwach mit einer neuen Inschrift: „Loyalität, nicht Blut“.
Navals Prüfung – „Echos der Leere“
Naval stand allein inmitten eines prächtigen Ballsaals. Jeder Spiegel reflektierte eine andere Version von ihr – lächelnd, weinend, wütend, gebrochen.
In einem Spiegel sah sie sich von Freunden umgeben. In einem anderen war sie eine Königin. In einem weiteren war sie ein vergessenes Mädchen, verloren im Regen.
Dann wurden die Lichter gedimmt. Eine Stimme flüsterte leise und kalt:
„Egal, was aus dir wird, du wirst immer allein sein.“
Die Spiegel begannen zu zerbrechen. Die Spiegelbilder lachten sie aus und zeigten ihr all die Momente, in denen sie ausgeschlossen, übersehen oder an ihrem Wert gezweifelt worden war.
Ihre Fäuste zitterten.
Aber dann erinnerte sie sich an die anderen – Leon, der sie auf diese Reise mitgenommen hatte, Roselia, die sie herausgefordert hatte, Millim, die spielerisch mit ihr gestritten hatte.
„Ich bin nicht allein. Nicht mehr.“
Naval umklammerte ihren Dolch, schlug durch die Illusion und alle Spiegel zerbrachen. Aus den Scherben bildete sich ein silbernes Armband – graviert mit fünf Sternen, von denen jeder eine Verbindung darstellte, die sie geknüpft hatte.
Lilianas Prüfung – „Die leere Wiege“
Liliana öffnete die Augen und sah eine kalte, graue Welt.
Sie stand barfuß auf einem rissigen Steinboden, umgeben von hohen, unfreundlichen Mauern eines zerfallenen Waisenhauses. Die Luft war still und leblos. Regen strömte durch Löcher im Dach, und das einzige Geräusch war das entfernte Tropfen von Wasser, das durch die verlassenen Hallen hallte.
Sie erkannte diesen Ort sofort – das Waisenhaus, in dem sie aufgewachsen war, oder besser gesagt, dessen verzerrte Version. Die Wände flüsterten ihren Namen, nicht aus Liebe, sondern aus bitterer Anklage.
„Liliana …“
„Warum wurdest du adoptiert?“
„Warum hast du uns zurückgelassen?“
„Warum hast du uns vergessen?“
Sie ging langsam vorwärts. Geisterhafte Kinder standen ihr im Weg – Gesichter, die sie kannte. Einige waren gestorben. Einige waren verschwunden. Einige hatte sie beschützt … andere hatte sie im Stich gelassen.
Ein kleines Mädchen mit hohlen Augen trat vor.
„Du hast gesagt, du kommst zurück. Du bist nie zurückgekommen.“
Liliana sank auf die Knie. Die Schuld, die sie lange unter ihrer ruhigen Fassade und ihrer stillen Stärke vergraben hatte, brach wie eine Flutwelle hervor. Sie hatte es versprochen. Sie hatte sie verlassen.
„Ich habe euch nicht vergessen“, flüsterte sie und ballte die Fäuste gegen den kalten Stein. „Ich konnte damals nicht zurückkommen … aber ich habe nie aufgehört, an euch zu denken.“
Das Kind hob eine Hand. „Beweise es.“
Eine sanfte blaue Flamme erschien in Lilianas Handfläche – ihre Magie, ihr Wille, ihre Erinnerung. Sie breitete sich aus und erfüllte die graue Welt mit Wärme. Die geisterhaften Kinder lächelten und verschwanden nacheinander im Licht.
In der Stille, die folgte, erschien eine kleine Spieluhr auf dem Boden. Sie hob sie auf, und während sie ein sanftes Wiegenlied spielte, flüsterte Liliana:
„Ich gehe für uns alle weiter.“
Einer nach dem anderen löste sich der wirbelnde Nebel, der die einzelnen Prüfpfade umgab.
Ein leises Summen arkaner Macht lag noch in der Luft, als hätte der Dungeon selbst ihre Entwicklung erkannt und würde sie stillschweigend gutheißen. Die sechs tauchten aus verschiedenen Richtungen der riesigen Kristallkammer in der Mitte des Mystic Cave Dungeon auf, wo die Prüfungen stattgefunden hatten.
Leon war bereits da und wartete mit verschränkten Armen in der Mitte, während er die wiedervereinte Gruppe wie ein stiller Wächter musterte.
Roselia trat als Erste hervor, ihr langer Mantel war an einigen Stellen zerrissen, ihr Blick war härter – entschlossener. Die Prüfung hatte ihre Loyalität und ihre Angst vor dem Verlassenwerden auf die Probe gestellt, aber sie ging mit der Haltung von jemandem, der seine Identität bekräftigt hatte.
Direkt hinter ihr tauchte Roman auf. Äußerlich wirkte er ruhig, aber seine Knöchel waren noch weiß, weil er sein Schwert so fest umklammerte. Die Illusionen hatten ihn gezwungen, sich seiner größten Angst zu stellen – ein Tyrann zu werden wie diejenigen, die er einst zu bekämpfen geschworen hatte. Sein stilles Nicken an Leon sagte alles: Ich bin immer noch ich.
Naval trat als Nächste hervor, mit weit aufgerissenen, aber klaren Augen. Ihre Prüfung hatte sie durch den Schmerz der Unterschätzung, Verspottung und Zweifel getrieben – einen Schmerz, den sie hinter ihrer fröhlichen Art versteckt hatte. Aber jetzt hatte diese Energie eine stählerne Schärfe, eine stille Entschlossenheit, sich nie wieder von jemandem definieren zu lassen.
Und dann – Liliana.
Zuerst sagte sie nichts. Ihr Blick wanderte durch den Raum wie der von jemandem, der gerade aus einem fernen Sturm zurückgekehrt war. Aber die Art, wie sie näher zu ihren Gefährten trat, sagte mehr als alle Worte: Sie war nicht mehr allein. Das würde sie nie wieder sein.
Als Letzte kam Millim, mit einem seltsam ruhigen Gesichtsausdruck. Im Gegensatz zu den anderen war ihre Prüfung nicht nur innerlich gewesen – sie war ein Spiegelbild ihres Erbes gewesen.
Von Erwartungen. Davon, was es bedeutete, Macht zu erben … und was es bedeutete, sie verantwortungsvoll auszuüben. Als sie die anderen sah, huschte ein kleines Lächeln über ihr Gesicht.
„Ich schätze, wir haben es alle geschafft“, sagte sie, ging auf Leon zu und stieß ihn spielerisch an. „Auch wenn es verdammt schwer aussah.“
Leon lachte kurz und sah dann jeden einzelnen von ihnen an.
„Ihr habt alle bestanden.“