Am nächsten Tag kam Shubh zurück nach Blue Wind City, gerade als das jährliche Fest losging. Die Straßen waren voller Leben – bunte Farben, fröhliche Musik und Kinderlachen waren überall zu hören. An den Straßen standen Stände, an denen alles Mögliche verkauft wurde, von karamellisierten Früchten bis hin zu leckerem gebratenem Fleisch, während Tänzer in traditionellen Kostümen zum Rhythmus der Trommeln tanzten.
Oben auf dem Balkon des Schlosses des Stadtfürsten stand Luna, die derzeitige Stadtfürstin, neben Leon und ließ ihren Blick über die fröhliche Menge unter ihr schweifen. Das warme Licht der Papierlaternen spiegelte sich in ihren Augen, aber hinter ihnen lag ein Schatten – etwas Leises und Verweilendes.
„Das letzte Mal, als ich an diesem Fest teilgenommen habe, war ich mit meinem Vater“, sagte sie leise mit einer melancholischen Note in der Stimme.
„Und jetzt, nur ein Jahr später, ist er nicht mehr bei mir.“
Leon schwieg einen Moment, dann seufzte er leise. Er sagte keine leeren Worte. Stattdessen streckte er seine Hand aus und legte sie sanft auf ihre – eine einfache, stille Geste des Trostes. Sie sah ihn überrascht an, doch dann wurde ihr Blick weich.
„Danke“, flüsterte sie.
Hinter ihnen feierte die Stadt mit Freude und Lärm. Aber auf dem Balkon, inmitten des flackernden Laternenlichts und des Windes, der fernes Lachen herüberwehte, standen die beiden in friedlicher Stille – nur für einen Moment.
Nach einer Weile kehrte Shubh zurück, stieg lautlos vom Himmel herab und landete anmutig hinter Leon.
„Meister, ich bin zurück“, sagte sie ruhig, ihre Stimme war leise, aber von einer Schwere, die die Luft selbst zu verdrehen schien.
Leon drehte sich nicht um. Er hob nur leicht die Hand und bedeutete ihr, still zu sein.
Shubh neigte den Kopf, einen Moment lang verwirrt – aber sie gehorchte. Ihre Lippen schlossen sich, und ihre uralte Aura verblasste wie ein Sturm, der sich in die Tiefe zurückzieht.
Er stand neben Luna, sagte nichts und ließ nur den kühlen Nachtwind zwischen ihnen wehen.
Nach ein paar stillen Augenblicken lächelte Luna schwach und sah zu ihm auf.
„Danke … noch einmal“, sagte sie mit sanfter Stimme, in der sich Schmerz und Dankbarkeit vermischten. Dann verbeugte sie sich leicht, drehte sich um und ging davon.
Als sie an Shubh vorbeiging, fiel ihr Blick kurz auf ihn.
Shubh lächelte nur zurück – ein scharfes, überirdisches Lächeln, das nie ganz seine Augen erreichte. Seine Lippen öffneten sich leicht, gerade genug, um einen Hauch des zahnbewehrten Grinsens darunter zu enthüllen.
Zum Glück sah Luna das nicht wirklich – sonst hätte sie vielleicht ihr Leben lang darunter gelitten.
Shubh wandte ihren Blick wieder Leon zu, ihre Miene war nun ruhig und gelassen – als hätte es dieses schreckliche, zahnbewehrte Grinsen nie gegeben.
Shubh wandte ihren Blick wieder Leon zu, ihr Gesichtsausdruck war nun ruhig und gelassen – als hätte es dieses schreckliche, zähnebleckende Lächeln nie gegeben.
„Hier ist die Krone, Meister“, sagte sie in respektvollem, aber stolzem Tonfall. Aus der Leere hinter ihr materialisierten sich sechs verschiedene Kronen, von denen jede die Essenz des Kontinents ausstrahlte, aus dem sie stammte.
Leon saß auf der Brüstung des Balkons, das Mondlicht tauchte seine entspannte Haltung in einen silbernen Schein. Er betrachtete die Sammlung und ein leichtes Grinsen huschte über seine Lippen.
„Sechs Kronen …“, murmelte er. „Dann gehört der Thron der Welt schon zur Hälfte mir.“
Shubh senkte den Kopf. „Wie du befohlen hast, habe ich jede einzelne zurückgeholt – und alle vernichtet, die sich widersetzt haben. Es gibt keine falschen Herrscher mehr.“
Leon stand auf und ging zu ihr hinüber, seine Präsenz strahlte Autorität aus. Shubh sank auf ein Knie, als er vor ihr stehen blieb.
Er streckte die Hand aus und nahm die erste Krone – gefertigt aus Drachenschuppen und brennend mit der Glut einer ewigen Flamme.
„Die erste … die Krone des Drachenkontinents“, verkündete er. Ihr Gewicht schien die Magie in der Luft zu erschüttern.
Er setzte sie vorsichtig auf seinen Kopf, und ihre Aura stabilisierte sich, als würde sie ihren neuen rechtmäßigen Besitzer anerkennen.
Shubh blickte auf. „Jede einzelne wartet darauf, von deinem Willen beansprucht zu werden. Alle Kontinente werden sich beugen, dem Namen nach … und in Wahrheit.“
Leon stand aufrecht da, die Krone des Drachenkontinents ruhte auf seiner Stirn wie ein Mantel aus uralter Macht. Ihre glühenden Schuppen schimmerten im Mondlicht, und in seinen Augen tanzten Flammen. Für einen Moment wurde es auf dem Balkon um ihn herum wärmer, die Luft pulsierte vor drachenhafter Hitze.
Er nahm die Krone vom Kopf und setzte sie vorsichtig auf einen kristallenen Sockel, der neben ihm aus dem Nichts auftauchte – ein Konstrukt seiner Magie, geschaffen, um die Beute seiner Herrschaft zu präsentieren.
Dann wandte er sich der zweiten Krone zu.
Sie pulsierte mit einem unheimlichen Leuchten, geschmiedet aus ätherischem Silber und Adern aus tiefviolettem Kristall. Krallen und Reißzähne schmückten ihren Sockel, und ein leises Knurren hallte aus ihrem Inneren – wie ein fernes Chor aus tierischem Stolz.
Leon nahm sie in seine Hände.
„Der Kontinent der Tiermenschen“, flüsterte er. „Bis zum Schluss hartnäckig … aber jetzt dienen sie.“
Er setzte sie sich auf den Kopf. Seine Gestalt flackerte leicht – seine Muskeln spannten sich an und seine Sinne schärften sich für einen atemlosen Moment, als würde der rohe Instinkt unzähliger Raubtiere durch ihn hindurchströmen. Aber die Energie beugte sich schnell seinem Willen.
Mit einem langsamen Ausatmen legte er die zweite Krone neben die erste.
Nun kam die dritte – ein elegantes, aber gefährliches Stück, das aus silbernen Blättern und scharfen Kristalldornen gewebt schien. Ein sanfter Duft nach alten Bäumen und mondbeschienenen Wiesen strömte von ihr aus.
Leon fuhr mit einem Finger an ihrem Rand entlang.
„Die Elfenkrone … stolz, rein und so tragisch zerbrechlich.“
Als er sie aufsetzte, leuchtete sein Körper kurz in einer strahlend grünen Aura, leicht wie der Wind, alt wie der Wald. Seine Gedanken streiften die tief verwurzelte Arroganz und Weisheit eines Volkes, das längst in Stagnation versunken war.
Er seufzte. „Zu blind, um sich anzupassen. Aber immer noch nützlich.“
Er nahm sie ab und legte sie neben die anderen.
Die vierte Krone war dunkel und wunderschön – aus Obsidian und Rubin geflochten, pulsierend vor Schatten und Versuchung. Ihre Präsenz war verführerisch, verlockend und absolut tödlich. Die Luft wurde kalt, als er sie in die Hand nahm.
„Die Krone des dunklen Kontinents … Vampire, Dunkelelfen, Werwölfe. Eine eiternde Grube voller Geheimnisse und Verrat.“
Er setzte sie sich auf den Kopf. Sein Schatten streckte sich unnatürlich hinter ihm aus.
Für einen Moment schien die Welt um ihn herum dunkler zu werden, und das Flüstern vergessener Schwüre kratzte an den Rändern seines Bewusstseins.
Aber Leons Wille war unerschütterlich. Die Schatten bogen sich.
Er legte sie neben die anderen.
Die fünfte Krone strahlte Hitze aus – verbranntes Stahl, umrandet von geschmolzenem Gold, deren Mitte wie ein Herz aus Lava pulsierte. Diese Krone war im Bauch eines Vulkans geschmiedet und in endlosem Feuer gehärtet worden.