Im Herzen einer alten, prächtigen Halle, die in sanftes goldenes Licht getaucht war, lag eine fast unheimliche Energie in der Luft. Die Steinwände waren mit komplizierten Schnitzereien von längst vergessenen Göttern und Symbolen verziert, die ganz leicht mystisch leuchteten. Der Boden, ein perfekter Kreis aus glattem Obsidian, spiegelte die sitzenden Gestalten von zwanzig Kindern wider, die alle etwa sechzehn Jahre alt waren und in einer meditativen Haltung saßen.
Ihre Augen waren geschlossen, ihre Gesichter ruhig, während sie nach dem inneren Schlüssel suchten, der ihnen das Tor zu ihrem Schicksal öffnen würde: den Himmlischen Turm.
In der Mitte dieser feierlichen Versammlung stand eine Frau, gekleidet in einen tiefblauen, wallenden Stoff. Ihre Ausstrahlung war beeindruckend und doch ruhig, wie ein stiller Sturm, der darauf wartet, seine Wut zu entfesseln.
Sie war ihre Führerin, eine Meisterin im Himmlischen Turm, und ihr Name wurde von den Kindern und Ältesten gleichermaßen verehrt. Ihre Stimme war zwar leise, hallte aber durch die riesige Halle, als sie ihnen Anweisungen gab.
„Konzentriert euch auf euren Atem“, sagte sie, ihre Worte so sanft wie ein Gebirgsbach. „Der Arune-Schlüssel liegt in euch allen. Er ist die Essenz eures Geistes, der Schlüssel, der den Weg zum Himmlischen Turm öffnen wird.“
Die Kinder saßen still da, ihre Konzentration schärfte sich unter ihrer Anleitung. Jeder von ihnen hatte sich jahrelang auf diesen Moment vorbereitet, eine Reise der Meditation, Disziplin und des Wachstums. Der Arune-Schlüssel war ihr Ziel, ihr erster Schritt in eine größere Welt.
Unter den Kindern, die in vollkommener Stille saßen, war Leon – ein Waisenkind wie viele von ihnen, aber anders als alle anderen. Sein zerzaustes, dunkles Haar fiel ihm leicht in die Stirn, und seine scharfen grünen Augen, die jetzt konzentriert geschlossen waren, verrieten die Stille, die er nach außen hin bewahrte. Während sich die anderen ganz auf ihre innere Reise konzentrierten, um den Arune-Schlüssel zu finden, wurde Leons Geist ständig von Erinnerungen heimgesucht, die niemand hier auch nur ansatzweise nachvollziehen konnte.
In einem längst vergangenen Leben war Leon ruhig, fleißig und freundlich gewesen und hatte als Waisenkind in einer Welt gelebt, die dieser sehr ähnlich war. Er hatte hart gearbeitet, den Kopf unten gehalten und akzeptiert, was das Leben ihm bescherte. Aber dieses Leben fand ein abruptes, seltsames Ende, als er aus dem Nichts von einem Lkw angefahren wurde – ja, einem Lkw.
Ein plötzlicher, heftiger Aufprall, der seine Welt erschütterte und ihn in einem Augenblick in diese Welt versetzte.
Er erinnerte sich lebhaft an diesen Moment, klarer als an alles, was seit seiner Wiedergeburt geschehen war. Der verwirrende Lichtblitz, das flüchtige Gefühl von Schmerz und dann … Stille. Er war hier aufgewacht, in dieser Welt voller Magie und alter Rituale, mit den Erinnerungen an sein altes Leben, als wäre es gestern gewesen.
Seitdem hatte Leon diese Erinnerungen für sich behalten. Wie hätte er jemandem erklären können, dass er einst in einer völlig anderen Welt gelebt hatte? Wie hätte er ein Leben beschreiben können, in dem Dinge wie Magie, Türme und Arune-Schlüssel nichts als Geschichten waren? Er konnte es nicht. Und so schwieg er, hütete sein Wissen und wusste, dass er sich in mehr als einer Hinsicht von den anderen unterschied.
Leon war ein fleißiger Junge, das musste er auch, wenn er ein angenehmes Leben führen wollte. Deshalb hatte er nie den Luxus, sein Leben wie andere Kinder zu genießen, fernzusehen, Anime zu schauen oder Bücher zu lesen. Er wusste nichts von Seelenwanderung, aber er wusste von Reinkarnation, da sein Freund eine bestimmte Serie über Schleime geschaut hatte, sodass er seine Situation einigermaßen verstehen konnte.
Aber jetzt, wo er in der großen Halle saß, vermischten sich die Erinnerungen an sein früheres Leben mit der Gegenwart. Hier war er nicht einfach nur ein weiterer Waisenkind. Er war jemand, der eine andere Welt kannte und die Geduld hatte, sich in dieser neuen zurechtzufinden. Seine Fleißigkeit aus seinem früheren Leben hatte sich auf seine Ausbildung hier übertragen und ihn zu einem ungewöhnlich konzentrierten und fähigen Schüler gemacht. Er befolgte jede Anweisung präzise, immer ruhig und entschlossen.
Als die Stimme des Führers über ihn hinwegglitt und sie dazu drängte, den Arune-Schlüssel zu öffnen, versank Leon immer tiefer in der Meditation. Im Gegensatz zu den anderen, die nervös herumzappelten oder sich mühsam konzentrierten, war Leon mit der erforderlichen inneren Stille vertraut. Sein früheres Leben hatte ihn gelehrt, dass Gelassenheit angesichts des Chaos der Schlüssel zum Überleben war.
Unter der Oberfläche seines Bewusstseins spürte Leon, wie sich etwas regte. Es war nicht der Arune-Schlüssel, die mystische Kraft, die sie alle zu erwecken suchten. Eine Wärme breitete sich in seiner Brust aus, als würde eine vergessene Kraft wieder zum Vorschein kommen und danach verlangen, anerkannt zu werden.
Die Führerin spürte seine plötzliche Energieveränderung und richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihn. „Leon“, sagte sie leise, ihre Stimme durchbrach die Stille. „Du bist nah dran.
Vertrau deinen Gefühlen. Der Arune-Schlüssel ist in dir.“
Leons Atem ging tiefer und ruhiger, während die Wärme in seiner Brust immer stärker wurde. Jetzt konnte er es spüren – eine Welle von Energie, die durch seine Adern floss und etwas in ihm erwachte, das lange geschlafen hatte. Sein Körper zitterte leicht, aber er blieb sitzen und hielt an der Ruhe fest, die er in seinem früheren Leben gelernt hatte.
Der Arune-Schlüssel, die mystische Kraft, die sie alle freizusetzen versuchten, war für Leon nicht länger ein fernes Konzept. Er war real, greifbar, wie eine Flamme, die mit jeder Sekunde heller flackerte. Seine Gedanken, einst von Erinnerungen an eine andere Welt getrübt, wurden klarer, während sich die Energie in seiner Brust sammelte und sich wie eine Feder zusammenzog, die bereit war, sich zu entfalten.
Plötzlich breitete sich ein brennendes Gefühl in seinem Oberkörper aus. Es war nicht schmerzhaft, aber intensiv, als würde das Wesen seines Wesens mit etwas Urtümlichem, etwas Mächtigen gebrandmarkt. Er riss die Augen auf, die schwach golden leuchteten, als er auf seine Brust hinunterblickte. Unter seinem Hemd pulsierte ein Licht – ein Symbol, das sich direkt unter seiner Haut bildete.
Der Blick der Führerin war auf ihn gerichtet, ihre ruhige Haltung verbarg eine Spur von Überraschung. Die anderen Kinder bemerkten nichts, sie waren noch immer in ihrer meditativen Trance versunken, aber Leon spürte, dass ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war.
Langsam zog er den Kragen seines Hemdes herunter und enthüllte das Zeichen, das sich allmählich abzuzeichnen begann – ein dreizackiges Symbol, das in strahlendem Goldlicht leuchtete und wie ein Brandmal in seine Haut eingebrannt war. Das Zeichen vibrierte vor Kraft, einer uralten Energie, die im Takt seines Herzschlags zu pulsieren schien.