„Und jetzt? Wirst du ihn überwältigen?“, fragte Desebel. „Das wäre doch ziemlich dramatisch, findest du nicht?“
„Ich wünschte, ich könnte“, seufzte Ingolsol, obwohl er nicht allzu entmutigt wirkte. „Mein Wille wächst in ihm. Der Teil von mir, den er in sich trägt, hat eine Stimme bekommen. Er spricht zu ihm. Ich kann ihn flüstern hören. Einfache Worte, wahnsinnige Worte, aber sie zeigen Wirkung.
Ich schätze, ich sollte Francis dafür loben, dass er endlich nützlich ist und mir diese Gelegenheit bietet.“
„Er wird wahrscheinlich sterben“, gab Desebel zu bedenken. „Ist das nicht das Ende deines Plans?“
„Wenn er stirbt, stirbt er eben. Ich werde trotzdem meinen Moment haben. So wie er jetzt ist, würde sein Tod mir ermöglichen, die Prinzessin zu erreichen, wenn auch nur für einen Moment. Ah, wie erschrocken sie sein wird. Ich kann es kaum erwarten, das zu sehen“, sagte Ingolsol und lachte herzlich.
„Du liebst sie immer noch“, stellte Desebel fest.
„Habe ich das jemals bestritten?“, fragte Ingolsol.
„Nein“, sagte Desebel, während sie unbehaglich wegschaute und nach einem neuen Thema suchte.
„Was ist mit Francis? Wirst du ihn für seine gute Arbeit belohnen?“, fragte sie.
„Ihn belohnen?“ Die Frage ließ den Gott einen Moment lang verstummen, bevor er in schallendes Gelächter ausbrach. „Natürlich nicht. Ich bin kein Hund, der kommt, wenn man ihm Leckerlis hinhält.“
„Warum hast du ihm dann überhaupt Macht gegeben?“, kam die naheliegende Frage.
Ingolsol zuckte nur mit den Schultern. „Ich dachte, es würde Spaß machen – und das hat es auch. Jeder, der bereit ist, seiner eigenen Familie so etwas anzutun … seiner eigenen Geliebten … mm, das muss jemand sein, der wahnsinnig nach Macht giert, meinst du nicht?“
Desebel seufzte. „Wie kleinlich.“
Er grinste nur und sagte nichts.
Es war, als hätten ihm diese Worte Freude bereitet. Es kehrte wieder Stille ein, als er seinen Blick wieder auf die Welt der Sterblichen richtete, und Desebel tat alles, um ihn zu belauschen.
„AMEISEN!“, schrie Francis erneut. Er hatte das Wort mehrmals wiederholt, während zwei der mächtigsten Götter ihm zuhörten, zusammen mit einem ganzen Dorf voller Menschen.
Selbst mit einer Armee hinter sich konnte er seine Wut nicht zügeln.
Sie knieten nicht. Keiner von ihnen. So sollte es nicht laufen. So war es damals nicht gewesen – damals, als er seine Macht zum ersten Mal bekommen hatte.
Damals waren die Bedingungen anders gewesen. Seine Opfer hatten sich so bereitwillig der Verzweiflung hingegeben, dass sie ihn angefleht hatten, sie zu töten. Und dann hatte Ingolsol reagiert.
Der ganze Raum hatte sich mit einem dunklen Licht gefüllt. Es war unglaublich, verwirrend – denn es war Licht in tiefstem Schwarz.
Man könnte argumentieren, dass es, da es schwarz war, pechschwarz, kein Licht sein konnte. Es war lediglich die Abwesenheit von Licht – es war das, was das Licht verschluckte. Es war Dunkelheit.
Francis wusste es besser, denn er war dort gewesen und hatte darin gebadet. Er hatte gespürt, wie die Dunkelheit über seine Haut strömte. Sie hatte einen Glanz, den man nicht mit den Augen sehen, sondern mit der Seele fühlen konnte. Etwas, das nach Angst roch, das ihre Bestandteile enthielt, aber auch nicht ganz mit ihr zu tun hatte.
Damit hatte er die Präsenz von etwas Mächtigen gespürt, er hatte eine kaskadenartige Bewegung der Kraft selbst gespürt, die aus einer scheinbar bodenlosen Quelle, einem endlosen Brunnen kam. In diesem Moment hatte er gewusst, dass ein solcher Brunnen, ein solches Wesen – das war mit Sicherheit das mächtigste Wesen im Universum.
Und jetzt, trotz all seiner Vorbereitungen, trotz all seiner Bemühungen, spürte er nichts davon.
Natürlich war Ingolsols Präsenz da – er spürte sie. Er wusste es. Sie ließ seine Knochen schmerzen, wie bei einem Arthritiker, der schlechtes Wetter kommen spürt. Ingolsol war hier und beobachtete ihn, und er war sich sicher, dass auch andere Götter hier waren. Aber niemand außer ihm, seiner Lordschaft, dem Dunklen Gott der Verzweiflung, Ingolsol, konnte durch diesen Schild der Dunkelheit blicken.
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Das würde ihm nicht reichen, das wusste Francis.
Er war ein kluger Mann. Er war schon immer ein kluger Mann gewesen. Wenn etwas nicht funktionierte, würde er sich nichts vormmachen und behaupten, dass es doch funktionierte. Er handelte nach ganz bestimmten Fakten – einer seltsamen und vielleicht verrückten Weltanschauung, das war wahr, aber einer Weltanschauung, die ihm so viel Macht verschafft hatte, wie er derzeit hatte, die Macht, ein ganzes Dorf mit einem einzigen Fingerschnippen in Flammen aufgehen zu lassen.
Und doch, warum knieten sie nicht nieder? Warum standen sie immer noch da, vorsichtig, angespannt, ohne auch nur einen Schritt zurückzuweichen, als wollten sie ihn bekämpfen?
Was war das für ein Junge, den sie alle nach vorne drängten, zu dem sie alle immer wieder hinüberblickten, als wäre er das Herzstück einer riesigen Kunstgalerie?
Er verstand es nicht. Francis war weit entfernt von den Gesetzen der Gesellschaft. Er spürte nicht dieselbe konformistische Schwere, die sie bedrückte, und konnte daher nicht sagen, was einen Mann dazu brachte, sich zu knien, was Liebende dazu brachte, sich zu verlieben, was Kinder dazu brachte, ihre Freunde auszuwählen. All das war ihm fremd. Die Menschen im Allgemeinen waren ihm fremd.
Er konnte es nicht sehen, er konnte es nicht verstehen, und deshalb lehnte er es ab.
Er schnippte mit den Fingern, wahrscheinlich schon zum fünften Mal, und wieder schossen Eiszapfen auf das Lager.
Es waren fünfzehn, und dort hatten sich die drei Ritter versammelt. In seinem Kopf nannte er sie immer noch Ritter, denn er kannte ihre Aura. Er würde nicht auf ihre Tricks hereinfallen, die behaupteten, der Junge sei gar kein Ritter – denn nur ein Ritter würde den starken Duft von Claudias Liebe, von ihrem Segen verströmen.
Das wusste er, denn er hatte danach gesucht. Er war auch kein Bauer – er gehörte zur Dienenden Klasse. Er war eine ganz andere Spezies als das einfache Bauernvolk. Zu behaupten, dass ein Bauer Claudias Gunst erhalten könnte, obwohl alle seine Bemühungen gescheitert waren, war mehr als eine Beleidigung, mehr als eine Lüge, es war reine, ohrenbetäubende Torheit.