Eine endlose Dunkelheit erstreckte sich in alle Richtungen, und mitten drin stand eine junge Frau mit langen, weißen Haaren und verschiedenfarbigen Augen.
Die Stille um sie herum war so tief, dass es sich anfühlte, als würde ein physisches Gewicht auf ihren Schultern lasten. Die Leere war beunruhigend, nicht wegen dem, was sie sehen konnte, sondern wegen dem, was sie nicht sehen konnte.
Es war eine Leere, die mit einem kalten Flüstern widerhallte und Einsamkeit und Leid versprach.
„Wo bin ich?“, flüsterte sie, als ein Schauer über ihren Rücken lief. Ihre Augen waren gequält, als Erinnerungen an ihre Zeit in London zurückkamen. Diese Dunkelheit fühlte sich genauso an wie damals, als sie in London in dem Arbeitszimmer eingesperrt war, einem Raum, der von Emilys Dunkelheit durchdrungen war.
Sie versuchte sich zu bewegen, stellte jedoch fest, dass sie es nicht konnte, was ihr Trauma nur noch verstärkte.
Panik zeigte sich in ihren Augen, als sie anfing, mit sich selbst zu reden: „Was ist hier los? Ich habe endlich meine Gefühle für Sir gestanden, und er hat sie akzeptiert, aber wie bin ich hier gelandet?“
Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war, dass Erik gesagt hatte, er würde sie gerne als Frau haben. Alle Erinnerungen an Eloras Test waren ausgelöscht.
Plötzlich tauchte eine Gestalt aus der Dunkelheit auf, deren Umrisse verschwommen waren und sich veränderten. „Emma“, flüsterte sie mit sanfter, verführerischer Stimme, „komm mit mir. Ich werde dich vor der Einsamkeit und dem Schmerz beschützen.“ Die Gestalt streckte ihr eine scheinbar warme, einladende Hand entgegen.
Plötzlich spürte Emma, wie sich die Fesseln lösten, und sie wusste, dass sie sich wieder bewegen konnte.
Verzweifelt wollte sie dieser Dunkelheit entkommen und streckte ihre Hand aus, doch dann zuckte sie zurück und schüttelte den Kopf. „W- Was ist mit Sir?“
Da ihr aktuelles Trauma so stark mit Emily verbunden war, brachte sie es nicht über sich, auch nach ihr zu fragen, und versuchte stattdessen verzweifelt, sich an die jüngeren, angenehmen Erinnerungen mit ihrer großen Schwester zu klammern.
Die schemenhafte Gestalt kicherte. „Erik kann dich jetzt nicht retten. Nicht dieses Mal. Ich kann dir Sicherheit bieten, einen Zufluchtsort vor all deinen Ängsten.“
Panik und Angst überkamen sie, doch dann blitzte eine Erinnerung in ihrem Kopf auf. Sie sah sich wieder in diesem schummrigen Raum, gefesselt und gebrochen, bis plötzlich Erik auftauchte. Damals war er ein Fremder gewesen, genau wie der Schatten, aber er hatte ihr nicht nur körperliche Sicherheit geboten, sondern auch Verständnis.
Er gab ihr ein Gefühl der Sicherheit, obwohl sie keinen Grund dazu hatte. Er gab ihr einen Teil der Kontrolle zurück, die Emily ihr genommen hatte. Er näherte sich ihr vorsichtig und sprach beruhigende Worte, ohne etwas dafür zu verlangen. Seine Worte waren voller echter Sorge, ein krasser Gegensatz zu der leeren Verlockung, die gerade aufgetaucht war.
An diesem Tag wurden die Samen des Vertrauens und der Liebe gesät.
Emma zog schnell ihre Hand zurück und stammelte: „N-Nein! Ich gehe nicht ohne ihn!“
In dem Moment, als sie diese Entscheidung traf, löste sich die Gestalt in einer Rauchwolke auf, und sie fühlte sich wieder unfähig, sich zu bewegen, was einen weiteren Schauer durch ihren Körper jagte.
Panik und Angst überkamen sie, aber sie schloss die Augen. „Ich werde warten.“ Ihre Stimme war zwar leise in der umgebenden Dunkelheit, aber sie klang entschlossen und voller Hingabe. „Ich werde auf ihn warten. Der Herr wird mich holen kommen, ich weiß, dass er das wird.“
Als Antwort tauchte ein weiterer Schatten auf – diesmal bedrohlicher als der letzte. „Bist du sicher, dass du warten willst?“, fragte er mit unheimlicher Stimme. „Wer weiß, wie lange er brauchen wird, wenn er überhaupt kommt.“
Emma spürte, dass sie sich wieder bewegen konnte, aber eine weitere Erinnerung kam ihr in den Sinn, diesmal daran, wie sie Erik gestanden hatte, warum sie Probleme hatte einzuschlafen. Für Emma war das ein Moment des Wachstums und der Selbstfindung gewesen.
Erik unterstützte sie und half ihr, ihre Probleme zu bewältigen. Er zeigte ihr, dass sie nicht allein war, dass es jemanden gab, dem sie vertrauen konnte, und dass sie keine Angst haben musste.
Also schloss sie die Augen und schüttelte den Kopf, während ihre Angst und Panik langsam nachließen. „Ich muss keine Angst mehr vor der Dunkelheit und der Einsamkeit haben. Selbst wenn er nicht bei mir ist, kann ich spüren, wie er mich umgibt.“
Der Schatten verschwand wieder, und Emma holte tief Luft. „Ich weiß immer noch nicht, was hier vor sich geht, aber ich bezweifle, dass diese Schatten etwas Gutes bedeuten“, dachte sie. „Außerdem brauche ich ihre Hilfe nicht. Ich muss einfach auf Sir warten.“
Weitere Gestalten tauchten auf, aber diese waren weniger schemenhaft und hatten mehr Konturen. Diesmal boten sie mehr als nur Sicherheit; sie boten auch Gesellschaft und Wärme.
Emma fand sich umgeben von warmen, mitfühlenden Gesichtern voller Liebe wieder, die bereit waren, ihr alles zu geben, was sie sich jemals gewünscht hatte. Aber Emma schloss die Augen und schüttelte den Kopf, als eine weitere Erinnerung sie überkam.
Diesmal war es Erik, der sie tröstete und ihr half, sich auf den Weg zur Versöhnung mit Emily während der Ereignisse in Kirkenes zu machen. Eine Wärme breitete sich in ihr aus, die die Liebe widerspiegelte, die sie an diesem Tag für ihn empfunden hatte.
Sie öffnete die Augen wieder, erfüllt von einer Mischung aus Liebe und gefestigter Entschlossenheit. „Nein“, flüsterte sie mit immer stärker werdender Stimme. „Ich werde auf ihn warten. Nicht weil ich Schutz brauche, sondern aus Liebe – aus wahrer Liebe, nicht aus der Illusion, die ihr mir anbietet.“
Die Gestalten begannen zu kreischen und wichen zurück, als würden sie verbrannt, bevor sie wie alle anderen vor ihnen verschwanden.
Als Emma aufstand, umhüllt von Dunkelheit, näherte sich eine weitere Gestalt, die eine beruhigende, vertraute, wenn auch noch unbekannte Präsenz ausstrahlte.
„Bist du sicher, dass du das willst?“, begann sie mit einer Stimme, die vor vorgetäuschter Herzlichkeit triefte. „Dienen? In einem Dienstmädchenkostüm herumtanzen? Möchtest du nicht lieber wirklich frei sein? Warte einfach die zehn Jahre ab, dann könnte es dir gehören.“
Aber Emma lächelte nur sanft, als ihr eine weitere Erinnerung einfiel. Diesmal war es der Moment, als sie zum ersten Mal das Dienstmädchenkleid anzog, das sie in der Garderobe der Bediensteten in London gefunden hatte. Damals dachte sie nur daran, Erik für ihre Rettung zu danken.
Doch unbewusst war sie auch aufgeregt bei dem Gedanken, ihr Leben im Dienst eines Menschen zu verbringen, dem sie alles verdankte.
Sie erinnerte sich daran, wie Eriks Augen vor Überraschung und Freude geleuchtet hatten, als er sie sah. Sie dachte an all die stillen Momente, die sie mit ihm verbracht hatte, als sie ihm während der Bootsfahrt nach Kirkenes einen Drink eingeschenkt hatte oder einfach nur bei ihm gesessen und darauf gewartet hatte, dass er sie brauchte.
Sie schüttelte den Kopf, ihre Stimme klang ohne jeden Zweifel: „Ich diene ihm gerne. Es gibt mir Geborgenheit und das Gefühl, gebraucht zu werden.
Mein Dienst ist meine Stärke, nicht meine Fesseln. Ich werde ihm gerne bis ans Ende meiner Tage dienen.“
Ein schwaches Licht erschien auf Emmas Bauch und schien die Dunkelheit zurückzudrängen. Plötzlich schien ihre Situation nicht mehr so beängstigend. Sie konnte sich immer noch nicht bewegen, und die Dunkelheit umgab sie immer noch, aber mit ihrer wachsenden Überzeugung wurde auch das Licht heller.